Welche deutschen Industrie- und Chemie-Aktien bei einer Gasrationierung besonders betroffen wären
Das Risiko einer dauerhaften Unterbrechung der russischen Lieferungen beschäftigt Europa und nährt die Angst vor Energieengpässen und wirtschaftlichen Problemen. Die wichtigste aktuelle Frage ist, ob und wie viel Gas nach der laufenden jährlichen Wartung der Nord-Stream Pipeline fließen wird. Sollte Russland kein Gas mehr nach Europa liefern, droht vielen deutschen Unternehmen eine spürbare Kürzung der Gaslieferungen. Insbesondere für Unternehmen aus den Bereichen Chemie und Industrie würde dies laut Commerzbank Umsätze und Gewinn deutlich drücken. TraderFox berichtet.
Die Börsianer hierzulande achten derzeit so gebannt wie selten zu vor auf das Geschehen an den Energiemärkten. Dabei wird sich in den nächsten Tagen zeigen müssen, ob die Gaslieferungen über die Hauptpipeline für russisches Gas nach Europa (Nord Stream 1) nach der jährlichen 10-tägigen Wartungsperiode, die am 21. Juli enden soll, wieder aufgenommen werden.
Eine vollständige Unterbrechung der Gaslieferungen würde angesichts der hohen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas einen erheblichen Schock auslösen, so die Bank Unicredit. In ein ähnliches Horn bläst auch die Societe Generale. Eine vollständige Abschaltung des russischen Gases im zweiten Halbjahr dieses Jahres wäre ein schwerer Schock, der eine Rezession auslösen würde, heißt es von Seiten des französischen Kreditinstituts.
Studien deuten demnach auf ein breites Spektrum möglicher wirtschaftlicher Auswirkungen hin, das von -3 % bis -13 % reicht. Die Bundesbank habe im März davor gewarnt, dass ein sofortiges (EU-)Embargo für russisches Gas einen Anstieg der Energiepreise auslösen und das deutsche BIP in diesem Jahr um 5 % verringern würde – eine düstere Prognose als die meisten anderen Studien zu diesem Zeitpunkt.
Aus der Sicht der Hessischen Landesbank (Helaba) birgt die Energiekrise auch die Gefahr, dass Deutschland strukturell weiter zurückfällt. Günstiges russisches Gas trug lange Zeit zu der guten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie bei, heißt es dazu erläuternd. Nun müsse davon ausgegangen werden, dass auf Jahre hin Flüssiggas zu viel höheren Preisen importiert werden muss. Auch Strom sei bislang keine echte Alternative. Die klimapolitisch gewollte Elektrifizierung der Produktion setze die Verfügbarkeit sehr großer Mengen an Strom zu sehr günstigen Preisen voraus.
Beispielsweise zeigten Untersuchungen, dass allein die chemische Industrie in Deutschland einen Bedarf in etwa so groß wie der jetzige deutsche Gesamtverbrauch habe. Genannt würden Preise von vier Cent pro Kilowattstunde. Dies sei auf Jahre nicht umsetzbar. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass Deutschland auf lange Zeit mit höheren Energiepreisen als beispielsweise die USA werde leben müssen. Realistischerweise werde dies die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der energieintensiven Grundstoffindustrie gefährden und die Ausrüstungsinvestitionen am Standort Deutschland bremsen.
Bei Gerresheimer, Beiersdorf, Knorr-Bremse und Covestro drohen die größten Gewinnbelastungen
Die Commerzbank erinnert in einer Studie daran, dass in den vergangenen Jahren die Gasabhängigkeit von vielen deutschen Unternehmen spürbar gestiegen ist. So hat zum Beispiel die deutsche Industrie in den letzten 10 Jahren ihren Gasverbrauch um fast 12% gesteigert. Insgesamt hat die Industrie mit knapp 37% den größten Anteil am Gasverbrauch in Deutschland, knapp vor den Haushalten mit 31%.
Bis jetzt können die meisten deutschen Unternehmen die steigenden Gaspreise relativ gut verkraften und auch teilweise an ihre Kunden weitergeben. Anders sähe es aus, wenn dauerhaft kein Gas mehr über Nord Stream 1 geliefert würde. Denn dann wären höchstwahrscheinlich Rationierungen der Gasversorgung in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern unumgänglich, so die Commerzbank.
Die Analysten bei dem deutschen Kreditinstitut haben vor diesem Hintergrund versucht, den Effekt einer Gasrationierung auf die Umsätze und Gewinne von ausgesuchten Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen abzuschätzen. Dabei hat man unterstellt, dass die Unternehmen in Europa nur noch halb so viel Gas geliefert bekommen wie im Jahr 2021. Die im vergangenen Jahr bezogene europäische Gasmenge wird mithilfe des Anteils Europas an den Umsätzen des Unternehmens geschätzt.
Anhand des Energiemix des Unternehmens (Gas/Kohle/Öl) und dem daraus resultierenden erwarteten europäischen Umsatz, der durch das europäische Erdgas erzielt wird, hat man außerdem den möglichen Umsatzverlust in Europa errechnet, der sich aus der Rationierung ergibt. Dieser wirkt sich natürlich auch negativ auf den Gesamtumsatz aus.
Der sich ergebende operative Ertragsverlust wiederum wurde durch die erwartete EBIT-Marge und die fixen sowie variablen Bestandteile der Gesamtkosten für das laufende Jahr berechnet. Wegen der zum Teil hohen Fixkosten sind die Effekte auf die Gewinne wenig überraschend deutlich größer als auf die Umsätze (siehe Grafik auf Seite 4). Dies gilt laut Commerzbank insbesondere für Gerresheimer und Covestro.
Andererseits sollten die Auswirkungen auf HeidelbergCement und ThyssenKrupp relativ gering sein, da sie überwiegend Kohle für die Herstellung ihrer Produkte verwenden. Allgemein aber würde insbesondere für Unternehmen aus den Bereichen Chemie und Industrie eine Gasrationierung die Umsätze und Gewinne deutlich drücken.
(Ticker-Kürzel: SDF – KS, GXI – Gerresheimer, BEI – Beiersdorf, KBX - Knorr-Bremse, BMW – BMW, 1COV – Covestro, BNR - Brenntag , WCH - Wacker Chemie, SY1 - Symrise, MBG - Mercedes-Benz, HEN3 – Henkel Vorzüge, BAS – BASF, MRK – Merck KGaA, EVK – Evonik, SHL - Siemens Healthineers, BAYN – Bayer, MTX - MTU Aero Engines, HEI - HeidelbergCement, TKA - Thyssenkrupp)