Portfoliocheck: Value Investor Bill Nygren kauft gerne antizyklisch ein – und nun bei Etsy
Aufklärung über Eigenpositionen: Diese Aktien aus dem Artikel halten TraderFox-Redakteure aktuell
illiam C. Nygren betreut als Portfolio Manager und Chief Investment Officer drei Fonds der Oakmark-Familie mit einem Anlagevolumen im zweistelligen Milliardenbereich. Dazu gehören der bekannte Oakmark Fund, der seit Gründung 1991 eine durchschnittliche jährliche Performance von 13 % vorzuweisen hat, sowie der Oakmark Select Fund und der Oakmark Global Select Fund. Darüber hinaus ist er CIO für US-Aktien bei der Investmentgesellschaft Harris Associates.
Als Value Investor ermittelt Bill Nygren den fairen Wert eines Unternehmens anhand der Discounted-Cashflow-Methode und kauft dessen Aktien nur, wenn sie mit erheblichem Abschlag auf diesen Wert an der Börse zu bekommen sind. Er bezahlt nicht mehr als 60 % des von ihm ermittelten Werts. Dieses Konzept der Sicherheitsmarge, das auf Benjamin Graham zurückgeht, ist ein wesentlicher Teil von Nygrens Investment-DNA.
"Wir wollen überdurchschnittliche Unternehmen zu durchschnittlichen Preisen."
(Bill Nygren)
Neben dem Unterschied zwischen Wert und Preis achtet Nygren vor allem auf einen hohen Free Cash Flow und eine möglichst hohe Eigenkapitalrendite. Des Weiteren bevorzugt er es, wenn das Management möglichst viele Anteile am eigenen Unternehmen hält und damit ein hohes Eigeninteresse am nachhaltigen Unternehmenserfolg hat. Bemerkenswert ist hierbei übrigens, dass Nygren dies bezüglich mit gutem Beispiel vorangeht und einen Großteil seines Privatvermögens in zwei seiner eigenen Fonds investiert hat. Er wettet also auf sich selbst und seine Investoren profitieren so doppelt: von seinem Können und von seinem Eigeninteresse am Investmenterfolg.
Daneben hat Nygren eine große Vorliebe für das "Pareto-Prinzip". Von diesen 80/20-Situationen spricht man, wenn ein Unternehmen in eine Schieflage gerät, in der 80 % der Meldungen ein bestimmtes Problem betreffen, das aber lediglich einen Teilaspekt betrifft, der für maximal 20 % der Profite steht. Solche Sondersituationen führen oft zu einer stark verzerrten Wahrnehmung und entsprechend verprügelten Aktienkursen – und dann geht Bill Nygren auf Schnäppchenjagd zu Ausverkaufskursen.
"Man kann keine guten langfristigen Erträge erzielen, wenn man kurzfristig denkt."
(Bill Nygren)
Dabei setzt er nicht auf schnelle Marktbewegungen, sondern investiert stets auf lange Sicht. Er greift oft bei Aktien zu, wenn sie gerade unbeliebt sind und ihre Erfolge weniger deutlich wahrgenommen werden.
Top Käufe und Verkäufe im 3. Quartal 2022
Bill Nygren hatte zum Ende des Quartals weiterhin 56 Werte im Depot, wobei er vier Positionen ausgetauscht hat. Seine Turnoverrate ging gegenüber dem Vorquartal von 18 auf 11 % zurück. Diese für ihn noch immer untypisch hohe Aktivität hat einen Grund: Nygren erklärt, eine höhere Inflation führe zu höherer Volatilität an den Märkten und er nutze diese aus, um bei höher bewerteten Aktien Positionen glattzustellen und sich auf solidere und niedrig bewertete Aktien zu fokussieren. Das führe zu einer erhöhten Handelstätigkeit in seinem Portfolio.
Unter den Top-Veränderungen finden sich drei Komplettverkäufe. Nygren trennte sich vom Biotechunternehmen Regeneron Pharmaceuticals, von der Krankenversicherung Humana und vom Telekomunternehmen T-Mobile US. Hier hat er die Erfolgswelle voll mitgenommen, doch das bisherige starke Wachstum dürfte sich künftig abflachen, während Aktienkurs und Bewertung zunehmend ambitioniert erscheinen. Entsprechend seiner Investmentphilosophie nimmt Nygren hier seine Gewinne mit, um sie in ungeliebte und unbeachtete Unternehmen zu investieren.
Um satte 47 % aufgestockt hat Nygren bei der US-Großbank Wells Fargo und beim Datenbankspezialisten Oracle sogar um 90 %, wo er erst im Vorquartal neu eingestiegen war. Des Weiteren stockte er seine Position beim Alternativen Asset Manager KKR & Co. um knapp 30 % auf, nachdem er in den Vorquartalen schon auf der Käuferseite war; im 2. Quartal hatte er seine Position annähernd verdoppelt.
Unter den neuen Depotpositionen finden sich klangvolle Namen. Die größte Auswirkung hatte der Einstieg bei der Online-Plattform Etsy mit 1,4 % Gewichtung, aber auch die Ride-Sharing-App Uber bringt es gleich auf ein Depotgewicht von 1 % und liegt damit gleichauf mit dem eher unbekannten Neueinsteiger Fortune Brands Home & Security. Warner Bros. Discovery hingegen ist weltbekannt, auch wenn das Unternehmen gerade erst eine Umstrukturierung und einen neuen – alten – Namen erhielt. Warner Media wurde von Telekomgigant A T&T in die Freiheit entlassen und mit Wettbewerber Discovery zusammengeführt, wodurch ein Medienriese und starker Wettbewerber von Netflix, Disney, Paramount und Amazon im Streamingmarkt entstand. Doch seit der Fusion Anfang April hat sich der Aktienkurs halbiert, was Nygren nun zum Einstieg gereizt hat – obwohl seit einigen Monaten auch Disney mit ähnlicher Gewichtung im Depot hat.
Top Positionen am Ende des 3. Quartals 2022
Auf zwei Dinge weist Billy Nygren in seinem Investorenbrief zum 3. Quartal besonders hin: Zum einen auf die Macht des Zinseszinseffekts, das Compounding. Eine Rendite von 12 % in einem Jahr sei nicht lebensverändernd, aber wenn man 20 Jahre lang investiert bliebe, hätte sich das fast verneunfacht.
Und zum Zweiten betont er den Vorteil des langfristigen Investierens. Denn auch wenn einzelne Jahre durchaus mal mit zweistelligen Verlustrenditen enden würden, gleiche sich dies auf längere Sicht nicht nur aus, sondern verkehre sich ins Positive. So sei das schlechteste Ergebnis auf Sicht von 20 Jahre ein Gewinn von 155 %. Statistisch gesehen liegt das Verlustrisiko bei Aktien nach 12 Jahren Anlagedauer bei null. Nach einem Jahr wie 2022 sei das eine beruhigende Erkenntnis. Andererseits sei folgerichtig auch nur den Anlegern ein Investment in Aktien zu empfehlen, die ihr Geld für einige Jahre im Markt investiert lassen können.
Über die schwache Performance der Bank-Aktien hatte sich Bill Nygren bereits im 2. Quartal überrascht gezeigt. Er führte dies vor allem darauf zurück, dass Anleger stur auf die Entwicklung der Banken in vorangegangenen Rezessionen blickten und sie daher aus den Depots werfen würden. Doch Nygren hält das weiterhin für einen Fehler und verweist auf die unterschiedliche Entwicklung der Geschäfte von Banken und ihren Aktien. So seien die Banken inzwischen deutlich stärker kapitalisiert und damit robuster aufgestellt als früher, wie die Bankenstresstests belegen würden. Zudem würden die Banken heute von ihren Größenvorteile erheblich profitieren, da die Kosten für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, den Schutz vor Betrug und das digitale Banking nicht linear mit der Größe ansteigen würden.
Nygren konzentriert sich kurzfristig immer auf die Geschäftsentwicklung und nicht auf die Aktienentwicklung, denn auf lange Sicht gleichen sich beide an. Im 3. Quartal haben einige Bankaktien bereits angezogen dank steigender Zinsen, während die deutliche Abkühlung am Immobilienmarkt sie andererseits belastet. Unterm Strich haben sich die meisten Bankaktien im laufenden 4. Quartal positiv entwickelt und bestätigen damit Nygrens Einschätzung.
Und das erklärt auch, weshalb der Anteil des Finanzsektors an seinem Portfolio weiterhin so hoch ist. Er bleibt trotz einer um 1,3 % gesunkenen Gewichtung von 32,4 % unangefochtener Spitzenreiter in Billy Nygrens 13 Mrd. USD schwerem Portfolio. Communication Services folgen ihnen mit 18,7 % (Q2: 18,9 %) vor zyklische Konsumwerten mit 13,1 (Q2: 11,6 %) und Technologiewerten, die mit 11,2 % (Q2: 9,8 %) wieder den vierten Rang zurückerobern konnten. Industriewerten schoben sich mit 10,2 % (Q2: 8,8 %) auf den fünften Rang vor und überholten damit die Energiewerte, die von 10,1 auf 8,1 % nachgaben.
Wachwechsel an der Depotsitze: Der anhaltende Preisverfall bei den Energiewerten drückte die Kurse den Energiewerte und so rutschte der vormalige Spitzenreiter EOG Resources auf den dritten Rang ab. Verdrängt wurde er von der Google-Mutter Alphabet als neuer Nummer eins und der nochmals aufgestockten Wells Fargo.
KKR & Co. sprang vom achten auf den vierten Rang und Netflix ist auf dem fünften Platz der stärkste Neueinsteiger in Nygrens Top 10. Mit Ally Financial belegt ein weiterer Finanzwert den sechsten Rang, nachdem es im Vorquartal noch Platz drei war. Meta Platforms ist unverändert siebter, während APA Corp. ebenfalls der Schwäche im Energiesektor Tribut zollen muss und vom vierten auf den neunten Rang abgerutscht ist. Mit Capital One Financial und Citigroup folgen zwei weitere Finanzschwergewichte.
Aktie im Fokus: Etsy
Die Etsy Inc. wurde 2005 gegründet und ist das namensgebende Unternehmen hinter der E-Commerce-Plattform Etsy. Dieser Online-Marktplatz bietet den Handel von handgemachten Produkten, Vintage und Künstlerbedarf mit dem Schwerpunkt Kunst, Fotografie, Mode, Schmuck, Kosmetikprodukte und Spielzeug.
Das Unternehmen sein Angebot durch Übernahmen und investiert in die Verbesserung seiner Plattform, führt neue Programme ein, um die Benutzerfreundlichkeit und das Vertrauen zwischen Käufern und Verkäufern zu erhöhen sowie mehr Transparenz bei den Transaktionen zu bieten und schafft so für seine Kunden ein zunehmendes positives Einkaufserlebnis. Das sorgt für Kundenbindung und Abschottung gegen Wettbewerber. Etsy hat sich als Nischenanbieter eine sehr starke Position erkämpft, in die bisher nicht einmal Branchengrößen wie Amazon nachhaltig eindringen konnten.
Die jüngsten Zahlen schreiben die Erfolgsgeschichte fort – eigentlich. Der Umsatz stieg im 3. Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 11,7 %, doch der Bruttowarenumsatz (GMS), der die Gesamtzahl der auf der Website verkauften Produkte darstellt, ging gegenüber dem Vorjahr um 3,8 % zurück. Auch die Zahl der aktiven Käufer und Verkäufer ging im Vergleich zum Vorjahr zurück.
Seit 2019 konnte Etsy hingegen die Zahl der aktiven Käufer auf seiner Plattform verdoppeln. Auch die Zahl der Wiederholungskäufer ist um 8 % gestiegen, während sich der Anteil der Stammkäufer im Vergleich zur Vor-Pandemie-Zeit um satte 223 % erhöht. Auf kurze Sicht sorgen die vergleichsweise geringen Steigerungsraten gegenüber den 2021er Werten für enttäuschte Gesichter, doch diese einmalige Verzerrung durch die Pandemieeffekte verzerren das Bild – daher ist die mittelfristige Betrachtung zielführender.
Unterm Strich meldete Etsy für das 3. Quartal einen Nettoverlust von 963 Mio. USD und damit die ersten roten Zahlen seit 2017. Allerdings ist dieser nicht auf operative Misserfolge zurückzuführen, sondern ausschließlich auf eine nicht zahlungswirksame Abschreibung von 1,8 Mrd. USD zurückzuführen, die Etsy für die im Jahr 2021 übernommenen Firmen Elo7 und Depop vornahm. Das kann angesichts der Kurseinbrüche an den Börsen nicht wirklich überraschen, die Bewertungsmultiplen für Unternehmenswerte haben sich in den letzten 18 Monaten deutlich Richtung Süden entwickelt. Unter Berücksichtigung der erfolgten Goodwill-Abschreibungen hätte Etsy auch das 3. Quartal mit schwarzen Zahlen abgeschlossen.
Per Ende September hat Etsy nun noch einen "Goodwill" von 1,3 Mrd. USD in der Bilanz. Reverb, einen ein Online-Handel für gebrauchte Musikinstrumente, hatte Etsy 2019 übernommen und im Juni 2021 für Depop, einen in London beheimateten Online-Händler für Second-Hand-Ware, 1,6 Mrd. USD ausgegeben sowie für Elo7, einen brasilianischer Online-Marktplatz für selbstgefertigte Produkte 217 Mio. USD. Die Käufe wurden damals aus dem Cashbestand finanziert, so dass keine zusätzliche Verschuldung anfiel.
Etsy stellt sich mit den Übernahmen breiter auf und möchte sich im Bereich Fashion etablieren. Die drei neuen Marken sollen dabei weiterhin neben Etsy mit einem separaten Auftritt agieren, lediglich im Hintergrund werden die Strukturen zusammengeführt (z.B. Logistik, Payment).
Ins Coronajahr 2020 war die Etsy-Aktie mit weniger als 50 USD gestartet und bis November 2021 hatte sich der Kurs auf annähernd 300 USD rund versechsfacht. Danach folgte ein brutaler Einbruch, der die Aktie im Juni bis auf 70 USD drückte. Seitdem hat sich der Kurs deutlich erholt und konnte sich auf 140 USD verdoppeln. Zum Allzeithoch vor 12 Monaten bietet das aktuelle Kursniveau noch immer Verdopplungspotenzial.
Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen inzwischen auch merklich verändert. Vor allem entziehen die Notenbanken dem Markt Geld und haben einen scharfen Zinserhöhungszyklus begonnen, der insbesondere Wachstumsunternehmen belastet. Selbst solche hoch profitablen wie Etsy. Daneben rutscht die Weltkonjunktur zurzeit Richtung Rezession und das bei noch immer hoher Inflation, was alle Handelsunternehmen Umsatz und Gewinn kostet. Etsy ist hierbei keine Ausnahme und steht noch vergleichsweise gut da. Zumal seine Nische nicht so sehr im Fokus großer Wettbewerber steht und diese aktuell mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen haben.
Bill Nygren hat sich im 3. Quartal eingekauft, als die Aktien zwischen 120 und 95 USD pendelten. Aus aktueller Sicht hat er damit einen guten Zeitpunkt erwischt, aber auf Market Timing setzt der Value Investor ja nicht, sondern auf die mittel- und langfristige Entwicklung seiner Unternehmen. Und da dürfte er bei Etsy richtig zugegriffen haben.